August Sander (1876–1964)

„Das Wesen der gesamten Photographie ist dokumentarischer Art,“ so schrieb August Sander in einem seiner Vorträge, die er 1931 im Westdeutschen Rundfunk hielt und formulierte damit einen Kernsatz, der während seiner gesamten Laufbahn für die Arbeitsauffassung des Photographen maßgeblich war.

August Sander: Photograph (August Sander), 1925 © Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur - August Sander Archiv, Köln

August Sander gilt als bedeutender Wegbereiter einer zu seiner Zeit neuen Richtung innerhalb der Entwicklung seines Mediums, die heute unter der Bezeichnung der dokumentarisch sachlich-konzeptuellen Photographie Fortsetzung findet. Berühmt wurde der in Herdorf (Siegerland) geborene Photograph durch das um 1924 entworfene Werk Menschen des 20. Jahrhunderts, in dem er mehrere Hundert seiner Portraits von Menschen unterschiedlicher Gesellschaftsschichten und Berufsgruppen entsprechend einem von ihm angelegten Konzept über Jahrzehnte hinweg in verschiedenen Bildmappen zusammenführte. Ausschnitte dieses Werks wurden erstmalig 1927 in einer Ausstellung im Kölnischen Kunstverein gezeigt und 1929 in seiner ersten Buchpublikation unter dem Titel Antlitz der Zeit veröffentlicht. Mit diesem 60 Portraits umfassenden Bildbuch war es Sander gelungen, ein Gesellschaftsportrait seiner Zeit darzustellen, das auf die Reflexion des Individuellen in Beziehung zum Typischen der jeweiligen Gesellschafts- und Berufsgruppe sowie auf die Frage der gegenseitigen Beeinflussung von Mensch und Gemeinschaft abzielte.

Vergleichende Photographie und unmittelbare Beobachtung sind dabei die treffenden Stichworte, die Sanders methodische Vorgehensweise charakterisieren und auf sein Bemühen um vorurteilsfreie und wirklichkeitsnahe Darstellung hindeuten. Denn vor allem im Nebeneinander der Bildreihen sah er die Möglichkeit, typische Physiognomien und Körpersprachen unterschiedlicher Berufsstände, Geschlechter und Generationen sowie individuelle Erscheinungsweisen hervortreten zu lassen.

Von der großen Resonanz, die "Antlitz der Zeit" erhielt, zeugen viele Besprechungen, so beispielsweise von Kurt Tucholsky oder Walter Benjamin, der besonders auch auf die aufklärerische Wirkung des Portraitwerks vor dem Hintergrund der drohenden nationalsozialistischen Herrschaft hinwies, was sich heute wie eine Vorahnung auf das Kommende liest. Fünf Jahre später wurden die Druckstöcke zu Sanders Antlitz der Zeit von den Nationalsozialisten zerstört und der weitere Vertrieb des Buches eingestellt; ein Berufsverbot – wie häufig zuvor vermutet – wurde jedoch nicht verhängt.

Parallel zu seiner extensiven Portraitarbeit widmete sich Sander seit jungen Jahren auch anderweitigen Motivbereichen wie der Landschaft oder der Architektur und entwarf ebenso für diesen Teil seiner Arbeit zahlreiche Bildmappen. Zudem stand er in regem Austausch mit vielen Kunstschaffenden – insbesondere den Kölner Progressiven um Heinrich Hoerle und Franz Wilhelm Seiwert – für die er unzählige photographische Arbeiten übernahm, und auch Auftraggeber aus dem Bereich der Industrie und des Handwerks schätzten die professionellen Leistungen aus dem 1911 in Köln gegründeten Atelier.

Dem Wesen und Werden der Photographie hatte August Sander in seiner insgesamt rund 70-ährigen Tätigkeit beinahe in jeder Beziehung – sei es hinsichtlich der Technik, der Wahl oder Komposition eines Motivs oder in Bezug auf die Verwendung und Kontextgebung – nachgeforscht. Sein Werk zeugt von einer tiefen Auseinandersetzung, die den Photographen zu einer klar definierten Form im Umgang mit seinem Medium führte, die er als exakte Photographie zu bezeichnen pflegte, deren Ursprung in den Anfängen der Photographie liegt und in absoluter Naturtreue ein Bild seiner Zeit zu geben sucht. Mehr noch sollte daraus resultieren: ein einzigartiges Werk von weitreichender kunst- und kulturhistorischer Dimension mit Vorbildfunktion.

Werke aus der Sammlung

Das August Sander Archiv in der Stiftung

Das historische August Sander Archiv befindet sich seit 1992 im Bestand der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur. Es umfasst alle noch erhaltenen ca. 10.700 Negative und über 6000 Vintage Prints (Originalabzüge). Außerdem umfasst das Archiv alle erhaltenen Originaldokumente sowie Korrespondenz aus dem schriftlichen Nachlass von August Sander. Es ist die weltweit größte Sammlung zum Werk des 1964 verstorbenen Photographen. Diese wird der Öffentlichkeit in Form von Publikationen und wechselnden Ausstellungen vorgestellt (keine Dauerausstellung).

Hinweis auf die Galerie Julian Sander

Die Galerie Julian Sander GmbH bietet in der von ihr betriebenen Galerie Abzüge von August Sander zum Kauf an, die zu Lebzeiten des Photographen sowie solche, die durch seinen Sohn Gunther und durch seinen Enkel Gerd Sander angefertigt bzw. autorisiert worden sind, und stellt diese in den eigenen Räumlichkeiten sowie in anderen Kunstinstitutionen aus. Daneben existiert eine durch den Galeristen Julian Sander, einem Urenkel des Photographen, 2015 gegründete gemeinnützige Stiftung, die August Sander Stiftung. Nähere Informationen über die Galerie und die  August Sander Stiftung erhalten sie unter www.augustsander.org und www.galeriejuliansander.de.

Hinweis zum Leben und Wirken von Gerd Sander

Gerd Sander (1940–2021), selbst als Photograph ausgebildet, übernahm nach dem Tod seines Vaters Gunther Sander (1907–1987), dem zweiten Sohn von August Sander, dessen Nachlass. Zuvor führte er zwischen 1976 und 1988 eine Galerie in Washington D.C. und in New York, wo er u.a. im Kunsthandel tätig war. Schon zu dieser Zeit gründete er das August Sander Archiv mit dem Ziel, die Werke seines Großvaters und seines Vaters zu kollektionieren und deren Schaffen weiterzuführen. Nachdem er nach Deutschland zurückgekehrt war, suchte er nach einer Möglichkeit, das Werk August Sanders in dessen Wahlheimat Köln zu positionieren und weiter auszuarbeiten. Dies gelang mit dem Ankauf des August Sander Archivs durch die Kulturstiftung der Stadtsparkasse Köln (Sparkasse KölnBonn), die damit 1992 den Grundstein für die heutige Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur legte.
Zwischen 1993 und 1996 hat Gerd Sander die Institution nicht nur als Beiratsvorsitzender begleitet, er hat auch auf viele Ausstellungskonzeptionen inspirierend gewirkt und sein Wissen über die überlieferten Materialien im August Sander Archiv weitgehend geteilt. Sein Wunsch, ein Ausstellungs- und Studienzentrum zu gründen, in dessen Mittelpunkt wesentlich das Schaffen des bedeutenden Photographen August Sander steht, konnte gemeinsam umgesetzt werden. Vor allem die Voraussetzungen, wie sie die Institution ab 1996 im Mediapark gefunden hat, ermöglichten die Konkretisierung seines Plans. Überdies wurden rund 650 Motive von August Sander von Gerd Sander in Zusammenarbeit mit dem Photographen der SK Stiftung Kultur, Jean-Luc Differdange, in analogen Neuabzügen und Auflagen erarbeitet, wobei einige entstandene Bildsätze bzw. Einzelabzüge in der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur verblieben.

2001 hat Gerd Sander an der Herausgabe der siebenbändigen Neuauflage von „August Sander: Menschen des 20. Jahrhunderts“ maßgeblich mitgewirkt. Damit gelang Gerd Sander und der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur die späte Umsetzung eines großen Vorhabens, das August Sander Zeit seiner beruflichen und künstlerischen Laufbahn angetrieben hat und heute als Meisterwerk der Photographie gefeiert wird.