Poesie der Pflanze – Photographien von Karl Blossfeldt und Jim Dine
22. Februar 2019 - 21. Juli 2019
Die immer wieder neu zu entdeckende Natur, die Vegetation mit ihren vielzähligen Gewächsen und Formen, ihre räumliche Disposition, das sie umspielende Licht ebenso wie die übergreifende Wirkung all dessen bilden das Zentrum der Ausstellung. Es geht einerseits um das Sehen, das Beobachten und empfindsame Wahrnehmen von Pflanzen und Pflanzenwelten, dokumentiert via Kamera; andererseits um ein achtsames Anschauen photographischer Bilder, gefertigt aus der Hand zweier Künstler. Es geht um Realität und Interpretation.
Die Werke von Karl Blossfeldt (1865–1932) und Jim Dine (*1935) setzen in diesem Sinn starke Impulse. Auch wenn beide auf verschiedene künstlerische Richtungen und Generationen zurückgehen, so wird doch in ihren Arbeiten deutlich, dass das Geheimnis der Natur, ihr Zauber ebenso wie ihre Regelmäßigkeit und Ordnung eine für die schöpferische Arbeit nicht versiegende Quelle ist. Beide Künstler verbindet die Liebe zur Natur, die differenzierte Auseinandersetzung mit ihrem Bildgegenstand ebenso wie ihre Präzision in der Umsetzung ihrer photographischen Kompositionen.
Karl Blossfeldt
Karl Blossfeldt, von dem in der Ausstellung über 70 originale Photographien, umgesetzt als Gelatinesilberabzüge, gezeigt werden, erarbeitete seine Ansichten vor dem Hintergrund seiner Lehrtätigkeit an der Unterrichtsanstalt des Königlichen Kunstgewerbemuseums, Berlin. Dort hatte der in Schielo (Harz, Sachsen-Anhalt) geborene Blossfeldt zwischen 1884/85 und 1888 studiert und in Folge als Modelleur in der Bronzewerkstatt gearbeitet.
Das Jahr 1898 gilt als der eigentliche Beginn seiner photographischen Tätigkeit, denn Blossfeldt nutzte die von ihm erarbeiteten Photographien im Kunstunterricht zur Erarbeitung kunsthandwerklicher Stücke und individueller Zeichenentwürfe. Mittels photographischem Abbild konnte er seinen Studenten das von ihm in der Umgebung Berlins gesammelte Pflanzenmaterial nicht nur in quasi frisch dokumentiertem Zustand vor Augen führen – natürliche Pflanzen welkten und veränderten sich oft zu schnell –, sondern er konnte die Pflanzenteile in vielfach vergrößerter Auflösung und gelegentlich in von ihm fokussierter und spezifisch präparierter Gestalt zeigen. Blossfeldts Intention richtete sich vor allem auf die Besonderheit der einzelnen, ihn faszinierenden Formen, die er in aller Präzision herausarbeitete. Typisch für die Photographien von Karl Blossfeldt ist, dass er die Gestalt der Pflanze vor einem flächig neutralen Hintergrund freistellte. Insofern griff er zu einer der puristischsten Möglichkeiten einer Bildkomposition, die dem quasi wissenschaftlichen Aufzeigen anvisierter Gegebenheiten dient.
Blossfeldts Ruhm begann mit der 1926 von Galerist Karl Nierendorf in Berlin ausgerichteten Ausstellung seiner Photographien gemeinsam mit Skulpturen aus Afrika und Neuguinea. 1928 veröffentlichte Blossfeldt seine bahnbrechende Publikation „Urformen der Kunst“, zu Beginn des Jahres 1932 folgte „Wundergarten der Natur“. Am 3. Dezember 1932 verstarb Karl Blossfeldt in Berlin. Heute gehört er zu den anerkanntesten Künstlern und Photographen des 20. Jahrhunderts. Ebenso wie die Arbeiten von August Sander und Albert Renger-Patzsch zählen die Pflanzenansichten Blossfeldts zu den entscheidenden Werken der Neuen Sachlichkeit in der Photographie.
Jim Dine
Die Ausstellung „Poesie der Pflanze“ stellt den Arbeiten Blossfeldts etwa 40 Heliogravüren des amerikanischen Künstlers Jim Dine gegenüber. Sie sind größeren Formats und nähern sich der poetischen Wirkung der Pflanzenwelt in formal anderer und doch verwandter Weise. Hier wie da treffen wir auf eine höchst intensive Auseinandersetzung mit dem Bildgegenstand und der davon im Einzelnen auszuführenden Photographie gleichwie deren Einbindung in eine aufschlussreich weiterführende Bildreihe.
Jim Dine, der in vielen verschiedenen künstlerischen Medien, sei es der Malerei, der Bildhauerei, der Druckgraphik, auch der Literatur und Lyrik zu Hause ist, wurde Ende der 1950er-Jahre im Kontext der Pop-Art-Szene in New York berühmt. Vor allem seine Werke, die Motive wie Bademäntel, Herzformen, Farbpaletten, Pinsel und Werkzeuge zeigen, sind heute einem großen Publikum bekannt. Aber auch das von der Natur Geschaffene erwarb sein unentwegtes Interesse, wie die Darstellungen und installativen Einbeziehungen von Bäumen, Ästen und Blumen verdeutlichen. Bereits 1969 entstand Dines Portfolio Vegetables, seine früheste Arbeit, die sich mit botanischen Formen und Farben auseinandersetzt.
Jim Dines Leidenschaft für die Natur und Pflanzenwelt zeigt sich auch in der aktuell vorgestellten Reihe Entrada Drive mit Heliogravüren, die zu Beginn der 2000er-Jahre entstanden. Dieses Konvolut wird zum ersten Mal in Europa präsentiert und wurde überhaupt erst einmal in dem New Yorker Universitätsmuseum „Neuberger Museum of Modern Art“ ausgestellt. Die Arbeiten gehen auf einen Arbeitsaufenthalt in Los Angeles im Winter 2001 zurück, als der Künstler gemeinsam mit seiner Frau Diana Michener auf dem Entrada Drive wohnte. Insbesondere das eigenwillige Licht blieb ihm nachhaltig in Erinnerung, er empfand es wie in einem „grauen Juli“. Entsprechend gehen die ausgestellten, teils dunkeltonigen Heliogravüren auf Photographien zurück, die in L.A. entstanden, doch auch Aufnahmen aus botanischen Gärten, die der Künstler in Berlin und New York besuchte, mischen sich unter. Im Gegensatz zu Blossfeldt richtet sich Jim Dines Aufmerksamkeit über die einzelne Gestalt der Pflanze hinaus, mehr noch auf den Raum, in dem er die Pflanzen, Büsche und Gesträuche antrifft und erlebt.
Die von Jim Dine vorgestellten Heliogravüren wirken durch ihre besonders austarierten Grauwerte auf feinzeichnender Papierqualität, als Ergebnis eines längeren Erarbeitungsprozesses. Es sind in Handarbeit gefertigte Werke, die auf Grundlage einer Photographie – im speziellen Fall gehen sie auf schwarz-weiße Negative im Mittelformat zurück – als Diapositive in Originalgröße der geplanten Heliogravüren gewandelt und im Kontakt mit lichtempfindlichen, gelatinebeschichteten Kupferplatten belichtet wurden.
Ein Blick in die Sammlung und in die Zusammenarbeit mit ihren Kooperationspartnern
Die Zusammenführung und Gegenüberstellung der beiden künstlerischen Positionen von Karl Blossfeldt und Jim Dine ist aus der Betreuung der internen Archivbestände hervorgegangen. So basiert einerseits die Präsentation der Werke von Karl Blossfeldt auf der engen, inzwischen 20-jährigen Zusammenarbeit zwischen der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur und der Universität der Künste Berlin, zu deren Eigentum ein Blossfeldt-Konvolut von u. a. über 600 Originalabzügen zählt. Ein umfangreicher Teil dieser Arbeiten befindet sich als langfristige Leihgabe im Bestand der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur, wird zuweilen mit Berliner Universitätsbeständen gewechselt oder ergänzt und in Ausstellungen oder Publikationen veröffentlicht. 2009 entstand zum Gesamtbestand des betreffenden Blossfeldt-Konvoluts ein wissenschaftlich kommentiertes Werkverzeichnis, das auf der Homepage der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur einsehbar ist.
Mit der Präsentation der Reihe Entrada Drive von Jim Dine bezieht sich die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur auf ein umfangreiches Konvolut, das der Künstler 2005 in die Obhut der Institution übertragen hat. Es ist die vierte Ausstellung, die die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur dem photographischen Schaffen des Künstlers widmet, das im hauseigenen Sammlungsbestand mit ca. 1500 Arbeiten vertreten ist.
Zur Ausstellung erscheint eine Sammlungsbroschüre.